Viel kann schief gehen in 22 Minuten und 41 Sekunden, vor allem, wenn man sie mit Action Bronson verbringt. Im Sommer vor sieben Jahren war ich mit dem Künstler aus Queens zum Interview in Berlin verabredet. Abends sollte Bronson dort auftreten, den Nachmittag davor bei zwei Presseterminen in einem wirklich hässlichen Hotel an der Spree verbringen. Der Tag laufe eher schleppend, sagte mir ein Mitglied seines Teams, das mich in der Lobby einsammelte und schon um Nachsicht bat, bevor irgendetwas passiert war. Bronson und sein Freund und Mitmusiker Meyhem Lauren hätten eigenhändig die Mittagspause verlängert. Schlecht sei die Stimmung trotzdem oben im zehnten Stock.
Das erste, was ich wenig später von Bronson zu sehen bekam, waren tatsächlich die Überreste seiner Mittagspause. Chicken Wings lagen auf, unter und neben einem Glastisch, außerdem eine Pfeife, ein kleiner Bunsenbrenner und ein paar Brocken Wax, für dessen Dauerkonsum der Musiker schon damals bekannt war. Schließlich kam er um die Ecke und sein Tourmanager von der Toilette, bewaffnet mit Klopapier und Sidolinspray. Bronson wolle noch kurz rauchen, sagte er und rauchte, bekam einen Hustenanfall und rauchte noch mehr. Am anderen Ende des Zimmers rotierte Meyhem Lauren in einem Drehstuhl.
Es gibt zumindest ein paar oberflächliche Gemeinsamkeiten zwischen Action Bronson und mir. Wir sind beide weiß, ungefähr gleich alt und Mitte der Neunzigerjahre als Außenstehende zum Hip-Hop gekommen. Bronson war erst Sprayer, wurde dann Rapper und machte eine Karriere daraus. Ich begann irgendwann über Rap und andere Musik zu schreiben und konnte mich damit bislang immerhin um eine Karriere herumdrücken. Außerdem hatten wir als Kinder beide gern professionelles Wrestling geguckt. Allein darüber hätte sich doch eine vernünftige 20-Minuten-Unterhaltung führen lassen müssen.
Wenn man es sehr darauf anlegt, ein Interview an vermeintlichen Gemeinsamkeiten entlang zu führen, kann es allerdings auch passieren, dass am Ende vor allem die Unterschiede zwischen den Gesprächspartner:innen klar werden. Bronson wollte als erstes von mir wissen, ob ich der Typ vom Juice-Magazin sei. Weil ich nicht der Typ vom Juice-Magazin war, musste ich der Typ von dem anderen Magazin sein, das mit Rap nur am Rande zu tun hatte. “Heißt das, wir müssen über meine Gefühle reden?” – “Wir können auch über Wrestling reden.” – “Ich habe aufgehört, mich für Wrestling zu interessieren, als ich anfing, Frauen ins Bett zu kriegen.”
Es war natürlich nicht Bronsons Hang zu solchen Punchlines, an dem unser Interview scheitern sollte, sondern meine Unfähigkeit, spontan darauf zu reagieren. Der Künstler hätte an diesem Nachmittag einen Sparringspartner gebraucht – immer wieder sprang er auf und tänzelte sogar buchstäblich vor mir herum. Ich hatte aber nur meinen Zettel voll pseudoschlauer Fragen dabei, über seine Kindheit, die jüdische Seite seiner Familie oder das Mackertum, das seine Musik manchmal unerträglich macht. “Ich wusste gar nicht mehr, dass wir eine Therapiesitzung gebucht haben”, sagte Bronson einmal Richtung Meyhem Lauren, weil ich nach irgendeinem sexistischen Detail aus seinen Texten gefragt hatte.
Letztlich war ich viel zu gut vorberietet und gleichzeitig überhaupt nicht vorbereitet. Bronson wollte eine Rap-Performance aus unserem Treffen machen. Ich war gekommen, um über Rap zu sprechen. Er ist ein wandelndes Hip-Hop-Lexikon, ich bin der Typ, den Buchverleger:innen als Käufer vor Augen haben, wenn sie tatsächliche Hip-Hop-Lexika herausbringen. Während sich Bronson gar nicht erst auf diese Diskrepanz einlassen wollte, fehlten mir schlicht die Mittel, sie zu überbrücken. Und das wurmt mich heute noch manchmal. Wie immer bei Interviews, die eigentlich zum Vergessen waren, hat sich jedes peinliche Detail der Begegnung in mein Hirn eingebrannt.
Nicht, weil mich Bronson bei jeder sich bietenden Gelegenheit auflaufen ließ, sondern weil er so leichtes Spiel mit mir hatte. Am Ende, als längst alles zu spät war, fragte ich noch, ob es nicht furchtbar kompliziert sei, eine Europatour mit all den Utensilien seines Cannabis-Konsums zu absolvieren, die zwischen uns auf dem Glastisch lagen. Da wurde er sogar richtig sauer. Ob ich nun erwarten würde, dass er mir auch noch seine Airport-Security-Tricks verrate, wollte Action Bronson wissen. Ja, das wäre natürlich geil gewesen.
Daniel Gerhardt schreibt seit 20 Jahren über Popmusik. Yikes! Früher für das Rockmagazin Visions und die Popkulturzeitschrift Spex, wo er bis Ende 2018 Chefredakteur war. Heute vor allem für Zeit online, wo er sich am liebsten mit Rapgegenwart und trügerischer Indierocknostalgie beschäftigt.