drakeo the ruler. danke für nichts
ein künstler, eine staatsanwaltschaft und das ultimative prison rap mixtape
Das Mixtape, das alles verändern sollte, beginnt mit einer Verwandten von Siri und Alexa. “Hello, this is a prepaid call”, sagt die weiblich konnotierte Computerstimme. Und dann: “This telephone call may be monitored or recorded. […] Thank you for using GTL.” Was die Stimme nicht sagt: Im Frühjahr 2020 mussten der Rapper Drakeo The Ruler und sein Produzent JoogSzn 25 Cent pro Minute für ihre überwachten und mitgeschnittenen Gespräche bezahlen. Drakeo war damals im Men’s Central Jail in Downtown Los Angeles inhaftiert, JoogSzn saß zuhause in Atlanta. Um gemeinsam Musik aufzunehmen, nutzten die Künstler einen Service des Unternehmens Global Tel Link. Eine andere Wahl hatten sie nicht.
In den USA beherrscht der Konzern den Markt der Telekommunikation für Inhaftierte nahezu monopolisch. GTL erhebt astronomische Gebühren, die in einigen Bundesstaaten des Landes noch deutlich höher ausfallen als in Kalifornien. Für viele Gefängnisinsass:innen macht das den Kontakt zu ihren Angehörigen praktisch unmöglich. Interessenverbände, die sich für bessere Haftbedingungen einsetzen, haben längst auf diesen Missstand hingewiesen, ebenso zahlreiche Medien. Dass sich bisher nichts verändert hat, liegt auch den Verträgen, die GTL etwa mit dem Büro des L.A. County Sheriffs unterhält. Das Unternehmen lässt die Behörde mitverdienen.
In der Geschichte von Drakeo The Ruler sind die ausbeuterischen Methoden von GTL jedoch maximal eine Fußnote wert. Der Inmate Calling Service der Firma ist ein notwendiges Übel, bei dem sich der Rapper aus South Los Angeles letztes Jahr bediente, um seine Sicht der Dinge auf deutlich größere Ungerechtigkeiten darzulegen. 34 Monate war der Mann, der eigentlich Darrell Caldwell heißt, inhaftiert. Zweimal versuchte die Generalstaatsanwältin Jackie Lacey in diesem Zeitraum, ihm den Prozess zu machen. Thank You For Using GTL heißt das Mixtape, auf dem Drakeo von den Verfahren und seinen Haftbedingungen berichtet. Aufgenommen übers Telefon, dokumentiert beinahe in Echtzeit.
Der Fall ist ebenso besonders wie beispielhaft. Einerseits beschreiben ihn viele Beobachter:innen als fadenscheinige, rassistisch motivierte Kampagne gegen Drakeo The Ruler und dessen Rapcrew Stinc Team. Andererseits erscheint er repräsentativ für das Verhältnis zwischen Hip-Hop, Justiz und Strafvollzug in den USA. Die Bedeutung von Thank Your For Using GTL liegt darin, dass es beiden Aspekten gerecht wird. Drakeo erzählt eine denkbar persönliche Geschichte, deren Wirkung er durch die zugehörigen, offensiv zur Schau gestellten Produktionsbedingungen noch einmal verstärkt. Zugleich durchschaut und benennt er die Strukturen, die seine Geschichte zu einer unter vielen machen.
Im März 2018 wurde Drakeo The Ruler verhaftet und unter anderem wegen Mordes, versuchten Mordes und Verabredung zum Mord angeklagt. Bei einer Schießerei im kalifornischen Carson, so der Vorwurf, sollte er anderthalb Jahre zuvor einen Menschen getötet und zwei weitere verletzt haben. Im Juli 2019 wurde Drakeo freigesprochen, im August jedoch erneut angeklagt. Diesmal fokussierte sich die Staatsanwaltschaft auf einen Vorwurf, zu dem die Geschworenen am Ende des ersten Verfahrens kein einstimmiges Urteil gefällt hatten. Drakeo The Ruler sollte Mitglied einer kriminellen Vereinigung sein und in dieser Position einen Mord geplant haben.
Obwohl der ursprüngliche Mordfall zu diesem Zeitpunkt bereits aufgeklärt war, strebte die Staatsanwaltschaft weiterhin eine lebenslange Haftstrafe für den Rapper an. Dabei berief sie sich auf ein kalifornisches Gesetz, das alle Mitglieder einer Gang für die Straftaten Einzelner mitverantwortlich machen kann. Aber ist das Stinc Team überhaupt eine Gang? Oder kokettieren die Musiker lediglich in genretypischer Weise damit? Zur Beweisführung der Anklage gehörten auch Textzeilen und Videoausschnitte, in denen Drakeo und Co. über Gewalttätigkeit rappen und sich mit Schusswaffen zeigen. Die Jury sollte davon überzeugt werden, dass Leben und Werk der Rapper praktisch gleichzusetzen seien.
Am 4. November 2020, jenem Tag also, an dem nicht nur Donald Trump abgewählt wurde, sondern auch die Bezirksstaatsanwältin Lacey, schien der Fall ein jähes Ende zu nehmen. Die Anklage köderte Drakeo The Ruler mit einem plea deal: Sollte sich der Künstler zu seiner Gangmitgliedschaft bekennen, winkte ihm die Freilassung auf Bewährung. Drakeo willigte offiziell ein, beteuert in Songtexten und Interviews jedoch weiterhin seine Unschuld. Den Deal, sagt er, habe er nur angenommen, um nach drei Jahren in weitgehender Einzelhaft den Lebensbedingungen im Men’s Central Jail und einer möglichen langen Gefängnisstrafe zu entkommen. Hoffnungen auf einen fairen Prozess habe er sich nicht mehr gemacht.
Was zunächst einmal bleibt von dieser Geschichte, ist Thank You For Using GTL. Schon ein Jahr nach seiner Veröffentlichung gilt das Mixtape als cult classic und Dokument überragender technischer Fähigkeiten und unglaublicher Fleißarbeit. JoogSzn musste Beats produzieren, die auch durchs Telefon funktionieren und Drakeo The Ruler eine Stimme finden, für die das gleiche gilt. Der Sound ist schlecht in den Leitungen von GTL, Grundrauschen und Delays begleiten fast jedes Gespräch. Die Künstler machen jedoch nicht nur das Beste daraus, sondern eine Stärke ihres Mixtapes. In den scheinbar widrigen Bedingungen ihrer Zusammenarbeit finden sie Raum für Nuancen und Verspieltheit.
JoogSzn bricht G-Funk, Ratchet Music und anderes Spezialwissen über Westcoast-Rap auf die absolut notwendigsten Einzelteile herunter: Drums, Synths, Melodie, Wiederholung. Drakeos Situation steckt indes schon im Klang seiner zusammengestauchten Stimme, die er über 19 Songs und die knapp einstündige Spielzeit des Mixtapes kaum variieren kann. Die Wut des Rappers wirkt durch den Telefonhörer automatisch hilflos, seine Verzweiflung automatisch größer. Sein Galgenhumor aber kann vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte niemals Befreiung versprechen. Thank You For Using GTL klingt am traurigsten, wenn es am lustigsten klingt.
Es macht eben einen Unterschied, ob Gangstarapper:innen mit den Gefahren ihres vermeintlichen Lebenswandels kokettieren oder ob sie wirklich darüber berichten, wie sie für diesen vermeintlichen Lebenswandel bezahlen müssen. Ohne Zweifel klingt Drakeo for real auf Thank You For Using GTL. Gleichzeitig lautet seine Botschaft: Ich war’s nicht. Realität und Fiktion verschwimmen bei ihm in einer Weise, die nicht nur genreübliche Paranoia und Gewissensbisse nach sich zieht, sondern auch durch das Zutun von Staatsanwaltschaften und Jurys gefährlich geworden ist. Würde Drakeo The Ruler nur davon erzählen, wäre schon viel geleistet.
Abseits seiner persönlichen Verstrickungen ist Thank You For Using GTL aber auch ein Album über die Möglichkeiten und die Wirkmacht von Rap als Schwarzer Protestmusik. Das Gefängnis habe bisher noch alle inhaftierten Rapper:innen gebrochen, lautet ein bitteres Hip-Hop-Klischee. Slick Rick, Lil Wayne, Remy Ma: Wer einmal drin war, wird nie wieder zu der oder dem Alten. Mit den buchstäblich letzten Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, stemmt sich Drakeo The Ruler gegen dieses Klischee. Man hört ihn und seine Geschichte auf Thank You For Using GTL, auch wenn diverse Behörden das gern verhindert hätten. Nicht loud and clear zwar, aber doch unmissverständlich.
Dass der Rapper seine Songs mit Hilfe einer Firma aus dem Gefängnis herausschmuggeln konnte, die es eigentlich auf seine Ausbeutung abgesehen hat, bestätigt obendrein ein Popklischee, das bis vor die Erfindung von Hip-Hop zurückweist. Schon in frühen poptheoretischen Überlegungen tauchte die Idee auf, dass sich Popmusik den kapitalistischen Charakter ihrer Entstehungsbedingungen und ihres Marktumfelds zueigen machen müsse, um subversives Potenzial entfalten zu können. Die Umstände von innen heraus angreifen, die Gegner:innen mit ihren eigenen Waffen schlagen: Auch davon handelt Thank You For Using GTL.
Nur gebracht hat es Drakeo The Ruler bisher nichts. Am späten Vormittag des 22. Augusts ist er abermals verhaftet worden, diesmal, nachdem das LAPD seinen Uber-Fahrer wegen unerlaubt getönter Scheiben gestoppt hatte. Angeblich wurde bei Drakeo eine Waffe gefunden, was einen Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen markieren würde und eine weitere lange Haftstrafe bedeuten könnte. Auch weil der Rapper seine Verhaftung live über Instagram gestreamt und ihre Begleitumstände dokumentiert hat, vermuten Beobachter:innen seines Werdegangs einen polizeilichen Racheakt. Fürs Erste ist Drakeo draußen auf Kaution. Sein Fall jedoch wird weitergehen.
Daniel Gerhardt schreibt seit 20 Jahren über Popmusik. Yikes! Früher für das Rockmagazin Visions und die Popkulturzeitschrift Spex, wo er bis Ende 2019 Chefredakteur war. Heute meistens für Zeit online, wo er sich am liebsten mit Rapgegenwart und trügerischer Indierocknostalgie beschäftigt. Das Foto von Daniel hat Anna Wyszomierska gemacht.